Zukunftsversteher und Übermorgengestalter werden dringend benötigt, damit Wandel gelingt und Fortschritt entsteht. Was sie erschaffen, soll ökonomisch, ökologisch und sozial von Bedeutung sein.

Um den Sprung in die Zukunft zu schaffen, brauchen wir Übermorgengestalter im Unternehmen. Superagil, vielseitig interessiert, global geprägt, blitzgescheit, digital fit und ständig auf der Suche nach neuartigen, guten Ideen erkennen sie Potenziale sehr schnell, können Marktdifferenzen rasch identifizieren und Lösungen völlig neu kombinieren. Sie sind Zukunftsversteher – und Transformationsexperten per se.

Sie unterstützen die «höchste zukünftige Möglichkeit einer Organisation», würde der durch seine «Theorie U» bekannt gewordene deutsche Systemforscher und MIT-Professor Otto Scharmer wohl dazu sagen. Das, was im Unternehmen getan wird, soll auf dreierlei Weise nützlich sein: ökonomisch, ökologisch und sozial. Die Zeiten von Wachstum auf Teufel komm raus und Maximalrenditen um jeden Preis sind vorbei.

Denn Tatsache ist: Das tradierte Wirtschaftssystem bedroht die Lebensgrundlage unseres Heimatplaneten. Zukunftsfähige Unternehmen entwickeln sich deshalb zu vernetzten Organisationen, die nachweislich auch Verantwortung für das Gemeinwohl tragen. Ein glaubwürdiges soziales Engagement und ein ernsthaftes Hinterfragen, wie wir echte Nachhaltigkeit in die Welt bringen können – das wird zum Megatrend Nummer eins. Denn wenn wir unseren Planeten nicht retten, ist alles andere sinnlos.

Einen sinnvollen Beitrag leisten

Die Hypothese vom Homo oeconomicus, der selbstsüchtig agiert und rein rational nach seinem eigenen Nutzen trachtet, ist eine traurige Erfindung weltfremder Wirtschaftsökonomen, eine anthropologische Lüge – und längst widerlegt. Die Menschen wollen mehr als nur Geld nach Hause tragen.

Wer einer Sache dienen kann, die grösser ist als er selbst, die sinnvoll ist, die Bedeutung hat und Altruismus ermöglicht, empfindet tiefste Zufriedenheit. Eingebunden sein, etwas Wertvolles durch eigenes Tun bewirken, mehr aus sich machen, das erfüllt die Menschen in hohem Masse – und ganz besonders die Übermorgengestalter.

Wir wurden geboren, um ein Leben voller Sinn zu führen – und nicht, um ein fremdbestimmtes Rädchen im Getriebe der Unternehmen zu werden. «Jedes Individuum ist in seiner Einzigartigkeit wichtig und kann eine für alle brauchbare Entdeckung machen», schreibt Gerald Hüther in seinem wunderbaren Buch «Würde».

Wir Menschen sind beseelt von dem Wunsch, einen Beitrag zu leisten, und fürchten die Vorstellung, ein bedeutungsloses Leben gelebt zu haben. Es gibt uns Genugtuung, uns auf eine im Rahmen unserer Fähigkeiten liegende Art und Weise weiterentwickeln zu können. Niemand malocht gern für eine Profitausbeute, die anderen zugutekommt. Doch für einen grossen gemeinsamen Sinn wächst man über sich selbst hinaus.

Hochgefühle entstehen

Man stelle sich vor, schreibt die Strategieberaterin Kerstin Friedrich, «der Mannschaft des FC Bayern erzähle man, dass ihr wichtigstes Ziel der Gewinn ihres Arbeitgebers, der FC Bayern AG, sei. Welche Steuerungskraft mag ein solches Ziel wohl ausüben?» Ja, genau: Die Jungs wollen Spass haben, Spiele gewinnen und Titel feiern. Dafür legen sie sich ins Zeug. Profit ist am Ende dann das Ergebnis.

Ohne sinnvolle Herausforderungen hätten wir keine Möglichkeit, uns zu bewähren, auf uns stolz zu sein und die so wertvolle wie notwendige Aufmerksamkeit und Anerkennung unserer Mitmenschen zu erlangen. Unsere Motivationssysteme werden erst hochgeschaltet, wenn wir uns um eine Sache verdient machen können.

Zu diesem Zweck ist unser Gehirn mit zwei Belohnungszentren ausgestattet: eines für die Vorfreude und eines für die Nachfreude. Die Vorfreude drückt sich in Verlangen aus. Sie gibt uns den Antrieb, ein begehrenswertes Ziel tatsächlich erreichen zu wollen.

Das zweite Belohnungszentrum versorgt uns mit Hochgefühlen nach erfolgreich vollbrachter Tat. So motivieren uns mächtige zerebrale Strukturen und biochemische Prozesse, Unangenehmes zu meiden und Angenehmes beherzt in Angriff zu nehmen.

Die süsseste Droge

Für Leistung, Lernen und das Meistern von Herausforderungen werden wir kortikal ganz ergiebig belohnt: mit der süssesten Droge, die die Natur je erfunden hat. Ihr Name? Dopamin. Dopamin ist der Freudentaumel, das aufgekratzte Beflügeltsein, der siebte Himmel, Glückseligkeit pur.

Dopamin bringt die Synapsen in Schwung und verstärkt die Arbeitsbereitschaft des Gehirns. Im Reigen mit weiteren zerebralen Substanzen befeuert Dopamin neben Lebensfreude auch Wagemut und Leistungskraft. Außerdem stärkt es unser Immunsystem und schützt die Firmen so vor hohen Krankenständen.

Die Evolution belohnt uns zudem dann, wenn wir uns als wertvolles Mitglied einer Gruppe zeigen, wenn wir Wertstiftendes tun und dabei unsere Sache möglichst immer noch ein wenig besser machen. Das gilt besonders für Kopfarbeiter. Auch Geistesblitze und Schöpferkraft werden nämlich durch Dopamin angeheizt.

Dies führt zu einer weiteren Aktivierung des Gehirns, zum Mehr-machen-Wollen, zum Aufbau von Millionen von Hochleistungsneuronen und zu einer stärkeren Vernetzung der Lerninhalte. «Herausforderungen beflügeln», sagt der Volksmund so trefflich. Ein Mangel an Herausforderungen hingegen lässt selbst die Talente der Besten veröden.

Sinnentleerte Arbeit und seelenlose Firmen

Unternehmen, die von ihren Mitarbeitenden Großes wollen, versorgen sie also am besten regelmässig mit derartigen Kicks. Sie fordern viel und bringen die Beschäftigten dazu, sich selbst zu übertreffen. Drohkulissen, entseelte Arbeit und anhaltende Frustration hingegen sorgen dafür, dass Menschen ihren Ehrgeiz verlieren, weil die Dopamin-Produktion verebbt.

Als Erstes werden die Guten, die Wertvollen, die Talentierten, die Innovatoren und Übermorgengestalter aus solcher Umgebung migrieren, um sich auf die Suche nach einem Arbeitsort mit mehr Sinn, mehr Freiheit und mehr Arbeitsfreude zu machen.

Gerade Neudenkern und Übermorgengestaltern verlangt es nach Sinn. Sie wollen Selbstwirksamkeit spüren, Spuren hinterlassen und Teil von etwas Bedeutsamem sein. Sinnentleerte Arbeit und seelenlose Unternehmen meiden sie wie die Pest. Der Job, den sie wählen, ist für sie eine Art Statement – und Ausdruck eines Lebensgefühls.

Die Firma, in der sie tätig sein wollen, muss für etwas stehen, mit dem sie sich wirklich identifizieren können. Diese Grundeinstellung befruchtet inzwischen den kompletten Arbeitsmarkt. Zunehmend wünschen sich die Menschen, dass alles Berufliche zu einem bereichernden und in hohem Maße befriedigenden Teil ihres Lebens wird.

www.anneschueller.de

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